Zum Motto

IMMER WIEDER JETZT

lautet das Motto für diese Spielzeit. Gesellschaft braucht ständig und immer wieder die Verständigung und die Aushandlung — sowohl über das Jetzt der Gegenwart als auch über die Vergangenheit. Theater ist immer wieder Jetzt — und nur Jetzt. Theater ist live, und Theater fängt immer wieder neu an, mit jedem Probenbeginn und jeder Aufführung.


Die vergangenen Monate waren von der Diskussion geprägt, wie man sich als Gesellschaft über die Gegenwart verständigt. Es reden eben nicht alle immer über dasselbe — auch wenn das anzunehmen so verlockend ist. Und es denken auch nicht alle dasselbe. Weder in der Familie, noch auf der Arbeit oder im Verein. Und auch nicht im befreundeten Umfeld.

Und ebenso, wenn nicht noch stärker, war die Auseinandersetzung zu erleben mit der Frage: Wie redet man, beziehungsweise wie verständigt man sich als Gesellschaft über die Vergangenheit — und was deren Bedeutung und Gewicht für die Gegenwart ist?

Es war so intensiv wie schon lange nicht mehr zu erleben: Offenbar braucht es immer wieder die Diskussion und die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der Gegenwart aus dem Jetzt heraus. Und daraus ergibt sich eine komplexe, widersprüchliche, vielstimmige Perspektive — auf nicht nur das Jetzt.

Oftmals ist eine solche Diskussion eine Chance. Manchmal ist sie eine Last. Weil die Diskussion bei null anzufangen scheint. Manchmal ist die Gegenwart wandelbar und veränderbar, manchmal ist sie es nicht. Aber mindestens gibt es die Chance auf Verständigung. Und auf Selbstvergewisserung.

Aber: Bei null anzufangen, immer wieder, ist ein altes Theaterprinzip. Damit kennen wir uns aus. Auch Theater ist immer wieder jetzt: Theater ist live, Theater beginnt jeden Abend wieder neu. Aber auch jede einzelne Produktion beginnt, trotz aller Erfahrung der Beteiligten, trotz aller professionellen Routinen, auf eine spezifische Art immer wieder bei null. Immer wieder neu.

Im Grunde bringt Theater seit quasi 2.500 Jahren immer wieder die Gesellschaft, die Vergangenheit und die Gegenwart zusammen ins Jetzt, ist Theater ein Ort der Selbstvergewisserung — und ein Ort der Auseinandersetzung mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Und das für uns sehr Bestärkende ist, dass Sie, unser Publikum, ein so großes Interesse haben, unsere künstlerische Arbeit zu erleben und im Schauspiel Leipzig zusammenzukommen, wie schon lange nicht mehr. Erst mit Ihnen gemeinsam wird Theater zu dem Ort, der die Gesellschaft immer wieder im Jetzt verankert — mit vielen Bezügen, Widersprüchen, Brechungen quer durch die Zeiten und durch Ihre Perspektiven.

Ihre Begeisterung, die Sie uns durch Ihre zahlreichen Besuche und in den Vorstellungen spiegeln, ist ein großer Antrieb für uns, und sie gilt allen Theaterformen, die unser Spielplan zu bieten hat: von großer Show bis zum Monolog, von Drama bis Komödie, von Uraufführung über Performance bis Klassiker.

Diese Saison stellen wir große Klassiker in den Mittelpunkt: Shakespeares „Richard III“, Kleists „Der zerbrochne Krug“, Bram Stokers / F. W. Murnaus „Nosferatu“ — das sind starke Texte mit großen Geschichten und mit starken, fordernden und herausfordernden Hauptrollen. Herausfordernd für unser Ensemble, aber auch für das Publikum. Aber auch ‚große Texte‘ im Sinne von großen Ensemblestücken, wie etwa der Komödienklassiker „Arsen und Spitzenhäubchen“.

Die neuen Produktionen, von der Großen Bühne bis zur Diskothek, haben dabei gemeinsam, dass es sehr oft auch um Selbstvergewisserung geht — oder/und gleichzeitig um die Auseinandersetzung mit schwer greifbaren, diffusen Widerständen. Widerstände, die den Figuren nicht wirklich kenntlich werden — bestehend aus persönlichen Untiefen aus Gegenwart und Vergangenheit bis hin zu Geistern und Untoten. Das gilt für Richard III. in Shakespeares gleichnamigem Stück ebenso wie für Jonathan und Mina in „Nosferatu“, das beschäftigt Kleists Dorfrichter Adam auf der einen Seite der Anklagebank ebenso wie Eve auf der anderen Seite. Und es beschäftigt auch die Figuren unserer Uraufführungen in der Diskothek: Zoey und Trisha in Raphaela Bardutzkys „Altbau in zentraler Lage“, das Paar in Sarah Kilters „Von Wunden und Wundern“, das sehr dringend ein Wunder welcher Art auch immer im gemeinsamen Leben braucht, und die Geschwister in Anna Behringers „Aufzeichnungen aus einem weißen Zimmer“, die sich gesellschaftlichen Normen ausgesetzt sehen, deren Sinn sie nicht auf die Spur kommen.

Zugleich haben wir mittlerweile ein starkes Repertoire erarbeitet, das wir weiter auf die Bühne bringen wollen, etwa mit „Cabaret“ und „Arturo Ui“, „Medea“ und „Besuch der alten Dame“ oder unserem Dauerbrenner „Gott des Gemetzels“. Denn eine solche Vielfalt an Stoffen und Ästhetiken ist eine große Stärke des Ensemble- und des Stadttheaters, wie wir es verstehen. Das gilt auch für die Spielstätte „Diskothek“, mit deren Repertoire wir über einen echten Schatz an Gegenwartsdramatik verfügen, der in der Form singulär ist in der Theaterlandschaft — und den wir weiter pflegen und zeigen wollen.

Wir freuen uns auf diese Stoffe und Geschichten, auf Klassiker und Uraufführungen — und wir hoffen, Sie begleiten uns weiter, auf der Suche nach immer wieder Verständigung, immer wieder Debatte, immer wieder Begegnung — immer wieder Jetzt.